Dann kamen wieder Vorwürfe
„Du bist gerade weder als Junge noch als Mädchen schön.“ „Du solltest endlich ausziehen, ich ertrage dich nicht mehr.“
„Ich weiß nicht, was schlimmer für mich ist: dass du bist, wie du bist oder wenn du jetzt einfach vom Bus überfahren werden würdest.“
Das sind Sätze meiner eigenen Mutter, die ich nach meinem Outing an den Kopf geschmissen bekommen habe. Doch nicht nur verletzende Sätze wie diese, sondern auch Vorwürfe, wie ich sei undankbar und ich solle doch einmal versuchen, mich in ihre Lage zu versetzen, waren mindestens zwei Jahre lang Standard.
Geoutet habe ich mich meinen Eltern gegenüber im Alter von 20 Jahren, nachdem ich es aber schon mindestens fünf oder sechs Jahre gewusst habe, aber es selbst nicht akzeptieren konnte. Da ich mich nicht getraut habe, es ihnen persönlich zu sagen, habe ich eine Vertrauensperson herangezogen, die mir mit meinem Outing geholfen hat. Die direkte Reaktion meiner Eltern (beide Ende 50) war, dass mein Vater gar nichts gesagt hat und meine Mutter geheult hat.
Dann kamen wieder Vorwürfe.
„Ist man denn mit Anfang 20 nicht reichlich spät dran?“
„Merkt man das denn nicht schon als Kind?“
„Es ging doch jetzt 20 Jahre lang so, warum jetzt auf einmal nicht mehr?“ „Du steigerst dich da rein, das ist nur wieder so eine Phase von dir!“
Meine Familie sagte dann, ich solle doch Rücksicht auf meine Eltern nehmen, das sei schließlich viel für sie und alle fragten meine Mutter, wie es ihr damit geht. Niemand fragte, wie es mir geht. Niemand fragte, ob mich meine „Entscheidung“ glücklich macht. Ich habe mich nicht entschieden, trans* zu sein, ich habe mich nur dazu entscheiden, nicht länger eine Person zu verkörpern, die ich nicht bin.
Alle fragten, ob es denn nicht auch möglich wäre, einfach als homosexuelle Person zu leben. Alle fragten, was denn sei, wenn ich all diese Schritte bereue. Alle fragen, warum ich denn jetzt erst mit der Sprache herausrücke.
Die Wahrheit ist, dass meine Transition eine gute Entscheidung war. Alles, was ich jetzt tue, fühlt sich richtig an, egal welchen Lebensbereich es betrifft. Ich habe keine Freund:innen verloren, dafür viele tolle Menschen hinzugewonnen. Menschen, die mich meines Wesens wegen mögen und nicht wegen der Person, die ich vorgegeben habe zu sein.
Nach fast drei Jahren wird es auch mit meinen Eltern endlich besser. Sie benutzen den richtigen Namen, die richtigen Pronomen. Sie merken, dass mich meine Transition glücklich macht.
Dass ich meiner Mutter vor drei Jahren einen Abschiedsbrief geschrieben habe, weiß sie bis heute nicht.