Unser Kind wurde 2009 als Mädchen geboren. Es war ein absolutes Wunschkind. Ich freute mich über mein Mädchen. Ich freute mich aufs Zöpfe flechten, Kleider kaufen u.s.w. Aber es kam alles anders…

Florentine gehörte von Anfang an nicht zu den typischen Mädchen. Sie spielte nicht, wie die meisten anderen Mädchen mit Puppen. Sie liebte Autos. Vor allem Feuerwehrautos – weil der Onkel Feuerwehrmann ist. Mit 3 Jahren meldeten wir sie auf eigenen Wunsch in einer Tanzgruppe an. Leider fand sie in der reinen Mädchengruppe keinen Anschluss. Die anderen Mädchen konnten mit ihr nichts anfangen, weil sie auf diesen ganzen Mädchenkram eben nicht so stand. Also meldeten wir sie nach einem ¾ Jahr wieder ab. Als sie 4 Jahre alt war, bekam sie die Chance im Kindergarten am „Huckepack Projekt“ teilzunehmen und wurde dort als „Gefühlsdetektivin“ ausgebildet. Denn Florentine hatte von klein auf ständig, für uns unverständliche Wutausbrüche. Sie war schon immer sehr sensibel, konnte aber mit ihren und den Gefühlen anderer nicht umgehen. Sie hielt sich sowohl zu Hause als auch im Kindergarten nicht an Regeln und widersprach den Erziehern ständig. Einmal schlug sie in ihrer Wut mit einem Kinderbesen ein Loch in ihre Zimmertür. Sie schmiss mit 3 Jahren ein Regal in ihrem Zimmer um und warf sämtliche Spielsachen quer durch den Raum. Somit war nach Erziehungsberatung, Jugendamt und Familienhilfe das „Huckepack-Projekt“ ein Segen für uns. Florentine lernte, was Gefühle sind, wie sie entstehen und wie sie damit umgehen kann. Ich glaube in dieser Zeit hat sie für sich herausgefunden, dass sie ein Junge ist.

So forderte sie mit 4 Jahren ihren ersten Kurzhaarschnitt. Wir gaben dem Wunsch nach und so kam die lange Haarpracht ab. Florentine war glücklich.

In den darauffolgenden Wochen kaufte ich, auf ihr Drängen hin, einige wenige Kleidungsstücke für Jungen. Denn sie fragte immer wieder nach coolen Jungsklamotten. Das gefiel ihr einfach besser als „der doofe Mädchenkram“. Sie stand auf Cars, Yakari und Bob der Baumeister. Mit Prinzessin Lillifee und Co konnte sie rein gar nichts anfangen.

Irgendwann sagte sie mir, sie möchte Max heißen und ein cooler Junge sein. Das ging vielleicht 4 Wochen so und manchmal sagte ich auch Max. Aber so richtig für voll nahm ich ihren Wunsch nicht. Mit der Zeit verebbte ihr Wunsch wieder. Oder aber, sie merkte dass wir sie nicht ernst nahmen…

Im Garten des Kindergarten sah ich sie nun immer öfter mit Jungs raufen. Sie hatte mittlerweile fast ausschließlich Jungsfreunde.

Als sie 5 Jahre alt war und wir wegen eines Wachstumsschubes neue Klamotten kaufen mussten, sagte ich ihr, sie soll auch alle Sachen raus legen die ihr peinlich sind. Am Ende war der Schrank fast leer. Also gingen wir shoppen. Und zwar das erste Mal in der Jungenabteilung. Wir kauften alles was ein Junge so braucht. Jetzt bekam sie auch ihre ersten Boxershorts und für den Sommer eine Badehose.

Eine Erzieherin sprach mich einmal darauf an. Dass Florentine nicht mit Boxershorts in die Schule gehen könne. Sie würde dort gehänselt werden. Da machte ich mir das erste Mal wirklich Gedanken wie es für uns weitergehen soll. Die ganzen Jahre hab ich immer wieder aus Spaß zu Freunden und Familie gesagt „Also entweder wird Florentine wenn sie groß ist lesbisch oder transsexuell“ und dann haben wir gelacht. Das sie wirklich trans* ist, habe ich nicht wirklich für möglich gehalten, denn ich hatte zu der Zeit noch nie von Kindern gehört die sich im falschen Körper fühlen.

Ich schlug ihr also vor so eine Art Hotpants zu kaufen. In dunkelblau oder grau ohne Glitzer und Bildchen darauf. Da rastete sie völlig aus und fing an zu weinen. Sie sagte „Ich will keine Mädchenschlüpfer! Dann gehe ich eben nie mehr aus dem Haus!“ Das rüttelte mich dann endgültig wach. Also erlaubte ich ihr weiterhin Boxershorts zu tragen. Mittlerweile hatte sie ausschließlich Jungenkleidung im Schrank.

Kurz vor ihrem 6. Geburtstag sagte mir Florentine, dass sie ein Junge ist und Florian heißen möchte. Als ich sie fragte woher sie das weiß, sagte sie

„Das sagt mir mein Gehirn. Es sagt: Du bist ein Junge, du heißt Florian“

Und

„Mein Körper ist ein Mädchen, aber in meinem Herzen bin ich ein Junge“.

Kurz vor unserer Urlaubsreise an die Ostsee kaufte ich mir ein Buch. Es heißt „Wenn Kinder anders fühlen“. In dem Buch geht es um transidente Kinder. Endlich fühlte ich mich verstanden und bestätigt in meinen Vorahnungen. Alles passte auf einmal zusammen. Wir bemühten uns also fortan „Florian“ und „er“ zu sagen. Natürlich rutschte es uns noch oft falsch heraus, aber er korrigierte uns jedes Mal. Noch während des Urlaubs machte ich einen Termin bei der Erziehungsberatung aus. Dort wurde mir geraten, Kontakt zu einer Kinderpsychotherapeutin aufzunehmen. Schon beim ersten Vorgespräch hatten wir eine für uns passende Psychotherapeutin gefunden. Sie betreut mehrere trans*Jugendliche in ihrer Praxis und wollte uns ab sofort auf unserem Weg begleiten. Florian fasste schnell zu ihr Vertrauen.

In dieser Zeit wandte ich mich auch zum ersten Mal an den „Different People Verein“. Ich machte dort einen recht kurzfristigen Gesprächstermin aus und so saß ich dort einige Tage später mit meinen vielen Fragen und Sorgen und konnte endlich meinen ganzen Ballast abwerfen und mit Jemandem sprechen, der mich versteht und ernst nimmt. Florian und ich wurden zu einem Treffen der Jugendgruppe eingeladen. Zu dieser Zeit war er mit seinen gerade mal 6 Jahren das jüngste Kind. Ich weiß es noch wie heute… Da saß Florian mit Papier und Stiften auf dem Sofa und malte, während Steve den Jugendlichen etwas über die Pille erzählte. Obwohl Felix sicherlich nicht verstand, worum es dabei ging, so strahlte er an diesem Abend wie ein Honigkuchenpferd, weil er unter Gleichgesinnten war. Er wolle jetzt immer dort hin, sagte er mir am Ende des Abends.

Der Anfang war also gemacht und so gingen wir die nächsten Schritte auf dem neuen Weg. Doch schon bald merkten wir, dass es nicht leicht werden würde. Die Familie meines Mannes reagierte mit Unverständnis. Da kamen so Sprüche wie

„Wie könnt ihr sowas unterstützen“

„Wie jetzt, ihr sagt auch noch Florian!?“

„Ihr müsst mal härter durchgreifen“

Oder

„Da müsst ihr was machen. Das geht doch nicht.“

„Was sollen denn die Anderen denken!?“

Auch im Kindergarten kämpften wir gegen Windmühlen.

Die Leitung hatte sich Rat bei ihren „Fachleuten“ geholt. Der Kindergarten weigerte sich den Namen Florian zu verwenden oder den neuen Namen an die Garderobe zu schreiben. Man weigerte sich, ihn als Jungen anzuerkennen und nannte folgenden LÄCHERLICHE Gründe:

  • Wir hätten uns schon immer einen Sohn gewünscht, deshalb wäre er in diese Rolle gerutscht.
  • Ich möchte mein Kind in den Mittelpunkt stellen.
  • Es wäre nicht gut für seine geistige Entwicklung.
  • Andere Kinder aus der Gruppe würden dann vielleicht auch die Rolle wechseln wollen.
  • Florian hätte sich in der Schminkecke schon mal mit Labello die Lippen anmalen lassen.


Nach diesem Gespräch war es bei mir endgültig aus. Ich war stinksauer, wollte Florian am liebsten sofort aus dem Kindergarten nehmen. Ich ließ mich bei 4 Kindergärten auf die Warteliste setzen und hoffte, dass vielleicht doch noch kurzfristig ein Platz frei ist. Das hat leider nicht geklappt.
Ich gewöhnte mir an, in Gesprächen immer von Florian zu sprechen, auch wenn die Erzieher die ganze Zeit den alten Namen verwendeten. Davon bekam ich zwar einen Knoten im Kopf, aber es war mein Protest und mein Kampf für mein Kind.

Florian hatte im letzten Kindergartenjahr eine schwere Zeit. Er weinte viel, hatte jede Nacht Alpträume. Er kam immer wieder heulend zu mir

„Alle sagen ständig den falschen Namen“.

Er wurde zum Außenseiter. Umso mehr fieberte er dem Schuleintritt entgegen.

Bereits vor der Einschulung sprach ich mit der Schulleiterin. Sie kannte sich mit der Thematik zwar nicht aus, versprach uns aber ihre Unterstützung. Florian wurde somit als Junge eingeschult. So stand es auch in der Schulakte, im Klassenbuch und auf Zeugnissen. Florian fühlte sich wohl. Ungeoutet. Doch der Druck des „großen Geheimnisses“ lastete so stark auf ihm, dass er auf ein Outing drängte. So wurde er noch in der 1. Klasse von mir bei seinem Outing in der Klasse begleitet. Kindgerecht natürlich. Die Eltern bekamen einen Brief von mir.

Seine Mitschüler gingen damit recht gut um. Wer damit jedoch ein Problem hatte, waren einige Eltern. Eine Mutter faltete mich mitten vor der Schule zusammen bis ich in Tränen ausbrach. Sie kämen ursprünglich vom Dorf und ihr Sohn hätte noch nicht einmal einen Schwulen gesehen. Sie hatte ihren Sohn bisher nicht aufgeklärt und nun käme ich und würde den Kindern sowas erzählen. Sie war außer sich.

Ich wurde depressiv. Ich hatte in den letzten Monaten so viele Kämpfe ausfechten müssen. Ich fühlte mich unendlich leer und hatte keine Kraft mehr. Was mir aber in dieser Zeit half, war der Angehörigenabend bei „Different People“. Ich weiß gar nicht wie oft ich dort Tränen vergossen habe. Oft weinten andere Eltern mit. Sie nahmen Anteil an unserem Leben und ich fühlte mich nicht mehr so allein.

Irgendwann kam der Schulwechsel auf die Oberschule. Wieder ungeoutet. Da wir zwischenzeitlich eine Personenstandsänderung für Florian erwirkt hatten, gab es mit dem Namen keine Probleme. Die Schulleitung und die wichtigsten Lehrer wussten Bescheid.

Jedoch kam unerwartet ein ehemaliger Mitschüler in seine Klasse, der die Hintergründe kannte. Alles fing mit dummen Sprüchen an. Der Junge streute in der Klasse Gerüchte, Florian wäre ein Mädchen. Im Klassenchat ging das Ganze weiter. „Florian hat ne Muschi. Diese Missgeburt“. Zu den psychischen Verletzung kamen körperliche Attacken. Schubsen, schlagen, treten, ins Gesicht spucken, der Versuch Florians Haare anzuzünden und zu guter Letzt, die Drohung ihn vor der Schule mit dem Messer abzustechen. Wir erstatteten Anzeige bei der Polizei. Nach der Anzeige ging es trotz schulischen Sanktionen mit dem Mobbing weiter. Irgendwann vertraute sich Florian uns an. Er hatte Suizidgedanken.

Er hatte das alles monatelang allein ertragen und uns nichts gesagt.

Nun steht Florian bei einer anderen Schule auf der Warteliste. Die Plätze sind rar und doch hoffen wir so sehr, dass es klappt und dass Florian endlich ankommen kann.

Das Leben wird weiterhin eine Berg- und Talfahrt für uns bleiben. Mit Sandbänken auf denen man ab und zu mal rasten kann, wenn die Kraft nicht mehr reicht.

Wir kämpfen weiter für unseren Sohn, den wir über alles lieben.

Das Wichtigste ist für uns, dass er glücklich ist! Alles andere ist egal!